Montag, 13.2.1995: Flug nach Pokhara

 

Morgens höre ich vor meinem Fenster Meisen zirpen und Tauben gurren. Auf dem Busparkplatz vor dem Inlandflughafen von Kathmandu versuchen viele Menschen in der Morgenkälte eifrig, uns beim Gepäcktragen zu helfen und sich damit eine Kleinigkeit zu verdienen. Frauen fegen kniend eine große Fläche, um sie von kleinen Steinen zu säubern; ein Mann kehrt dann den Müll in einen Flechtkorb. In der Wartehalle findet sich ein Völkergemisch aus Ostasiaten, Indern, US-Amerikanern und Nepalesen. Wir fliegen in einem orangenen ausrangierten russischen Armeehubschrauber. Eine Stewardess begrüßt uns mit Bonbons und Watte für die Ohren, die wir dringend benötigen, als das Gefährt uns ruckelnd und lärmend an der Hauptkette des Himalaja entlang gen Westen transportiert. Wir sehen eingekerbte Berge, tiefe Flusstäler, im Hintergrund vor dem hellblauen Himmel die schneeweißen Gebirgsriesen, die in die Wolken überzugehen scheinen. An vielen der Berge ziehen sich bis hoch hinauf die Terrassenfelder hin; wir bekommen schon eine Ahnung davon, wie bevölkert das Land ist und wie mühselig die Ernährung. Schließlich tauchen viereckige Felder auf, von Wällen umgeben, einige grün leuchtend, jeweils um ein bis drei Gebäude herum angelegt. In Pokhara, einer Kleinstadt am Fuße des Annapurna-Massivs, liegen die Häuser dichter beieinander, sie sind bis zu vier Stockwerke hoch und von weniger Feldern umgeben. Am Flughafen werden schwarze Ammoniten zum Verkauf angeboten. Die Menschen hier, die uns neugierig anstarren, sind ausreichend, sauber, ordentlich und fast zu warm gekleidet. Am Fluss bieten Tibetaner Schmuck an. Wir setzen auf einer Fähre über zum Hotel, einer Anlage mit verstreut liegenden Gebäuden zwischen blühenden Pflanzen. Ich bewundere einen leuchtend roten und einen weißen Weihnachtsstern (Euphorbien), einen weißen Trompetenblumenstrauch, Hecken aus Wechselblumen, rot blühende Hibiskussträucher, Bougainvillea-Ranken, auch mir unbekannte Ranken mit fingerlangen orangenen Blüten, eine rot blühende Strelizie, Papayabäume mit Früchten an den Stämmen. Der Name des Hotels, „Fish Tail Lodge", bezieht sich auf den fischschwanzförmigen, von hier aus am höchsten erscheinenden Berg. Die Schlüsselanhänger sind Holzfische. Bei heißer Sonne werden wir im Garten mit Rum-Orange empfangen. Im Hotelfoyer finden sich Abbildungen von besonderen Gästen, Königen zum Beispiel und auch Prinz Charles. Mein Hotelzimmer ist ein Kreisausschnitt, an der Spitze des Tortenstücks liegen Toilette, Waschbecken und Dusche. Badezimmerboden und -wände sind gefliest. Der Fußboden des Schlafraums besteht aus Schieferplatten, die Wände aus rot gestrichenen Ziegeln, an denen eine Klimaanlage und ein Fernseher angebracht sind. Es gibt auch einen elektrischen Heizofen. Unter dem Schreibtisch steht ein Kühlschrank, zwischen den zwei Betten ein Nachttisch. Dieser und der niedrige Tisch zwischen den zwei Korbsesseln sind mit Resopalplatten gedeckt und wirken wie im Supermarkt gekauft. Der eingebaute Schrank hat Türen aus Holzrahmen mit Schilfgeflechtfüllung. Neben dem Bett liegt ein gewebter, naturfarbener Wollteppich. Die Zimmerdecke besteht wohl aus weißen Kunststoffplatten. Innenfenster- und Außentürrahmen sind mit Fliegendraht bespannt, schließen aber nicht alle ganz dicht.

Vormittags werden wir über den Phewa-See gerudert, an dessen Ufer Familien Wäsche waschen. Dann folgt eine kleine Bergwanderung mit einem einheimischen Guide. Im Wald sehen wir unter anderem Esskastanien, Rhododendron, Orchideen (leider nicht blühend) auf den Bäumen und Rippenfarn. Frauen sammeln Feuerholz, viele grüßen freundlich. Sie ziehen die Äste der Bäume zum Teil mit langen Stangen und Haken nach unten, um sie abzuschneiden. Damit umgehen sie das Baumfällverbot. So erklärt sich, dass wir unterwegs so viele seltsam geformte Bäume sehen. Als wir aus dem Wald kommen, ziehen gerade zwei Frauen je zwei aneinander gebundene Stämme des Riesenbambus hinter sich her. Eins der winzigen Felder abseits des Weges wird gerade von einem Bauern mit zwei Wasserbüffeln gepflügt, die im Joch vor einen hölzernen Hakenpflug gespannt sind. Im Nachbarfeld schaut jemand zu, und aus der Entfernung ist eine lange Stange zu erkennen, die möglicherweise zu seinem Pflug gehört. Vielleicht leihen sie einander ihren Büffel, weil der harte und trockene Boden für ein Tier zu schwer zu bearbeiten ist. Nach dem Pflügen müssen die Dämme ausgebessert werden, dann leitet man Wasser in das Feld und flutet es, ehe die vorgezogenen Reispflänzchen einzeln per Hand in das Becken eingesetzt werden. - Wir hören den blaukehligen Bartvogel (Blue-throated barbet, wahrscheinlich Megalaima asiatica), den uns der Guide in einem Vogelbuch zeigt. Als wir eine schon oft geflickte Hängebrücke aus Holzplanken überqueren, sehen wir am Ufer viele Familien, die dort ihre Haare und auch ihre Wäsche waschen, die sie gleich auf die Steine zum Trocknen in die Sonne legen. Wir durchqueren ein Dorf mit „zufriedenen Armen", die in echten Steinhäusern wohnen, mit Stroh gedeckt. In den Höfen sehen wir große Heuschober, Winterfutter für das Vieh. Auf einem der Höfe legt eine junge Frau gerade einen breiten ringförmigen Riemen um eine Kiepe und vor ihre Stirn und geht, gefolgt von einem Kind, hinaus zur Straße. Im Hof schlägt eine alte Frau, auf dem Boden kniend, mit einem Stock auf eine Matte ein. - Unsere Mittagsmahlzeit wirkt wie ein Dinner englischen Stils: Möhren, Erbsen, Blumenkohl, grüne Bohnen, die drei ersteren sind knapp gar und werden ohne Soße serviert. Zum gebackenen Fisch gibt es Tartar sauce und French fries (Pommes frites). Die Vorspeise besteht aus einem Stück Mango und Zwiebelsuppe. Zum Dessert gibt es Obstsalat.

Bevor die Sonne gegen 18 Uhr untergeht, kann ich vom Hotel aus die zum See ziehenden Vögel beobachten: Kleine weiße Kuhreiher, dann eine Schar Greifvögel mit weiten Schwingen, hellbraun mit einem helleren Querstreifen an den Flügeln, die über dem See kreisen und dann Flügel schwingend über das Land ziehen. - Das Abendessen ist wieder eine vollständige Mahlzeit. Die Suppe wird serviert, danach gibt es eine große Auswahl am Buffet: Große spiegelblanke viereckige Töpfe auf Füßen enthalten zwei Fleischsorten mit Soße, verlorene Eier in Spinat, weißen Reis. Salate und köstlich hergerichtete Desserts locken, z. B. ein Schokoladenpudding, der mit Sahne und mehrfarbigen Trauben wie eine Torte hergerichtet ist. Tee oder Kaffee sind immer in der Vollpension inbegriffen, einheimisches Bier können wir in 0,65-Liter-Flaschen erwerben, Wein ist importiert und teuer. - Abends wird uns Cultural dance geboten von einer Gruppe sehr junger, vergnügter, sehr guter Tänzer. Die Tänze erinnern mich teils an thailändische, teils an chinesische, teils an russische. Neben mir im Publikum sitzt eine Gruppe Schüler und Schülerinnen aus Korea mit ihrer Lehrerin. Sie lachen über meine Frage, ob sie aus Nord- oder Südkorea sind.

 


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