Sonntag, 12.2.1995: Anflug auf Kathmandu

 

Wir müssen viele Runden drehen und sehen dabei von oben den Himalaja und kleine Ansammlungen gleichförmiger viereckiger Häuser zwischen Feldern. Der Flughafen wirkt sehr ansprechend: Backstein, mit Holzschnitzereien gerahmte Spiegel, unglasierte Tonblumentöpfe in vielen Formen, mit verschiedenen Gewächsen bepflanzt. Das Gras ist vertrocknet. An Bäumen sehe ich Eukalyptus und andere, wie ich sie von meinen Mittelmeerreisen kenne. Im kleinen Bus unserer Reisegesellschaft wird uns der Guide Bopal (Bophal) vorgestellt. Eine Dame begrüßt uns mit „Namastee" (Willkommen) und hängt jedem einen weißen Begrüßungsschal um. - Unsere Unterkunft ist das wunderschöne Hotel Dwarikas: Im „Hotelgarten" werden wir mit Tee und Mürbeplätzchen begrüßt. Ein Fotograf wird geholt, um Fotos für das Trekking Permit zu machen. Für 4 identische Schwarzweißfotos zahlt jeder 150 Rupies. Kurs: 32.66 Rp = 1 DM. - Das Haus besteht aus Ziegeln (oder einer Ziegelverkleidung) mit vielen eingepassten geschnitzten Holzverzierungen, wie sie traditionell für Fensterrahmen üblich sind. Im Hof, „Garten" genannt, stehen große Tonfiguren in Elefanten- oder Drachenform, knie- bis hüfthoch, innen hohl und zum Teil wie Blumentöpfe bepflanzt. Der Garten besteht weitgehend aus Steinhaufen, auf denen Blumentöpfe verteilt sind. Am Rande des Hofes gibt es schmale Beete, mit Studentenblumensetzlingen bepflanzt und mit einzelnen niedrigen Stöcken eingezäunt. Mandelbäume blühen. Hotelhandtücher trocknen auf den Steinhaufen.

Nachmittags kurzer Spaziergang nach Pashupatinath, einem der wichtigsten hinduistischen Heiligtümer Nepals mit einem Shiva-Tempel und Verbrennungsplätzen am Ufer des Bagmati-Flusses, der in den Ganges fließt. Die Straßen vor dem Heiligtum sind ein einziger Basar wegen eines bevorstehenden Festes. Die Menschen, dünn und ärmlich, starren uns oft an. Händler haben ihre Ware in schlichten Buden oder auf Stangen ausgelegt, Bettlerinnen sitzen auf dem staubigen Boden, eine große Schale vor sich. Barfüßige Kinder und hellbraune streunende Hunde laufen zwischen der Menge hin und her. Auf allen Straßen herrscht reges Treiben. Viele Häuser sind im Bau. Hierzulande ist Linksverkehr, die Straßen sind staubig, es wird laut gehupt. Die Dreiradrikschas sehen mit ihrer Verkleidung aus wie kleine Gogomobile. Von dem Heiligtum dürfen wir nur das Eingangstor von außen ansehen, es ist mit bunt geschnitzten und gemalten Darstellungen des Gottes Shiva und mit Shivalinguen verziert. Durch das offene rundbogige Tor kann man die riesige vergoldete Skulptur eines heiligen Büffels mit übergroßen Hoden erkennen, dahinter hin und her gehende Menschen, besonders Frauen, die ein Opferritual vollziehen. Wir besuchen auf dem Gelände vor dem Heiligtum einige Grabstätten und sehen Sadus (Heilige). Einer von ihnen ernährt sich seit 17 Jahren nur von Milch, die ihm von freundlichen Menschen vor sein kleines Haus gestellt wird, das sich auf diesem Gelände befindet und in dem er auch Gäste empfängt. Als wir vorbeikommen, empfängt er gerade an einem Sinnspruch-Stein eine Milchspende in einem Topf. Der Überbringer wirkt arm. Der Heilige sieht ausgeruht und gepflegt aus und hat leuchtende, gute Augen. Andere Heilige wirken verwahrlost. Sie preisen an, dass sie gegen Entgelt einen Stein mit ihrem Penis heben können, und sind berauscht vom Hasch-Rauchen. Jeder von ihnen bewohnt ein innen hohles kleines Grabmal. Ein mit dem Reiseleiter bekannter Yogi zeigt uns gegen eine kleine Bezahlung mehrere Gebets-Körperstellungen, die auf uns eher wie eine Zirkusvorstellung wirken - unser Reiseleiter hat uns gewarnt, dass wir ernst bleiben sollen - zum Beispiel hebt der Yogi, auf einem Lumpen sitzend und nur mit einer kleinen Unterhose bekleidet, ein Bein an und verschränkt es hinter dem Nacken, dann bringt er das andere Bein in die gleiche Stellung, fügt die Hände kurz in Gebetshaltung zusammen, und schon folgt die nächste Pose. Glaubt er wirklich, damit einem Gott zu dienen, oder zieht er aus Not Nutzen aus dem Glauben oder der Neugier seiner Mitmenschen? - Oberhalb des Tempelgeländes gibt es einen breiten, gepflasterten Weg, der gerade von einer Frau, in Kopftuch und langem Rock gehüllt, mit einem langstieligen Besen vom Laub befreit wird. Wir blicken auf die Dächer des Tempelgeländes, die von Tauben bevölkert sind. Kleine Paviane klettern auf den Dächern und Toren auf und ab. Menschen vollführen unten an verschiedenen Stellen das Opferritual. An einem der Tempelgebäude sind große bunte Holzschnitzereien mit realistischen und auf uns obszön wirkenden Darstellungen sexueller Handlungen zu erkennen. So sind wir geprägt. Unsere Religion kennt keine fleischliche Lust, in anderen Religionen ist sie ein Gottesdienst.

Es folgt eine kurze Fahrt zum buddhistischen Heiligtum von Bodnath. Der große Stupa ist heute Zentrum einer tibetanischen Siedlung mit einem kleinen Markt. Hier sehen wir einen ganz anderen Menschenschlag. Es sind Buddhisten aus dem Westen (Terrai?). Sie laufen im Kreis in einer vorgegebenen Richtung um den Stupa und berühren dabei die am Weg aufgestellten Gebetsmühlen. Rundherum sieht man Läden und neue Häuser.


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