Sonntag, 01.01.2006: Rada nach Taizz

Unterwegs auf dem Weg ins fruchtbare westliche Hochland sehen wir in und bei Dhamar u. a.: Waren in Schubkarren mit bereiftem Rad; Frauen auf dem Feld mit breitkrempigen, staubfarbenen Strohhüten und unverschleiertem Gesicht und z. T. erdfarbenem Gewand. Viele Felder sind abgesteckt zum Landverkauf, auf dem sich jeder sein Steinhaus selber baut. Auf den Feldern verstreut sehen wir kleine, schmale Steintürme, in denen sich wohl Wasserbehälter zur Bewässerung befinden. Gepflügt wird mit einem Eselsgespann oder mit einem Rind mit Höcker, das kleiner ist als ein Wasserbüffel, oder mit einem Trecker. Auf den Feldern stehen Hocken trocknenden Hirsestrohs. Überall sieht man Lieferwagen mit bunten, sehr unterschiedlich gestalteten Metallgittern.

Im Ibb-Bezirk ist alles grün, es wachsen amerikanische Agaven, Feigenkakteen, blühende Kandelaber-Euphorbien, gelb blühende Büsche, Winden an Häusern, dazu die üblichen bunten Plastiktütenbüsche. Man sieht viele Felder, auf denen die etwa 20 cm hohen Stängel der abgeernteten Hirse noch stehen. Später sehe ich, dass sie untergepflügt werden.

Die Neustadt von Ibb liegt am Hang, unten prangen grüne Felder. Wir fahren in Serpentinen hinauf in die Altstadt, wo wir einen Rundgang machen. Im Gegensatz zu Sana'a, wo die älteren Männer missbilligend wirkten, sind die Leute und besonders die alten Männer hier sehr freundlich zu uns. Besonders schönes Minarett.

Nebenan liegt die Stadt Jiblah (sprich: dschibla) mit sehr schmalen Gassen. Die Häuser sind zunächst weiß. Wir dürfen durch die Tür der Moschee, zu der sie ihr Haus umbauen ließ, einen Blick auf das Grab (einen großen Kasten) der Königin Arwa (gest. 1138 n. Chr.) werfen. Durch die Stadt begleiten uns: Ein 16- bis 17-jähriges, deutsch sprechendes Mädchen, das sich Geld fürs Studium verdient und uns die Ruine des „Palastes der 360 Zimmer" zeigt; ein elfjähriger, Tagetes-Sträußchen verkaufender Junge, der deutsch und englisch spricht; und ein großer, taubstummer Bursche, der fortwährend auf das Minarett der Moschee zeigt; dazu viele Kinder.

Ankunft in Taizz um 16 Uhr. Lebhaftes Getümmel wie in allen durchfahrenen Orten, die stets ohne Bürgersteige und ungepflastert und oft ungeteert sind. In meinem Hotelzimmer mit Doppelbett liegt ein Koran mit Goldschrifteinband und zwei Gebetsteppiche. Außerdem gibt es Fernseher, Telefon und Kühlschrank. Oben aus meinem Fenster im 5. Stock sehe ich auf die Nachbardächer und auf die Straße aus festgefahrener Erde und beobachte: Offene Lieferwagen mit Schafen (weiße mit schwarzem Kopf und rot aufgemaltem Längsstrich auf dem Rücken; mit Säcken; mit einem Regal für einen Möbelladen (die Nachbarn eilen herbei und helfen beim Abladen). Viele Verkaufsstände. Viele Motorräder, Personenwagen, Kleinbusse (z. T. chinesischer Import), Fernfahrzeuge und Geländewagen (fast ausschließlich Toyota). Junge Burschen in Gruppen; junge Mädchen in langem Schwarz mit verschiedenfarbigen Kopftüchern, auch in einfarbigem, langem Prinzessinnenkleid. Eine Ziege, am Strick gezogen. Frauen mit dünnen Plastiktüten mit Einkäufen; auch Männer, z. T. mit Kindern. Alle Frauen gehen mit sehr langen Schritten. Ein Mann mit einem langen Brett unter dem Arm. Ein Mann mit einem leeren Karton, einer mit einem Bündel Hirsestroh, einer mit einem großen Plastiksack mit Stoffballen. Kartonstücke, auf denen Waren zum Verkauf auslagen, werden aufgehoben und fortgetragen. Alte Männer am Stock. Viele Männer (oft nicht die ganz jungen) tragen das Palästinensertuch lose um die Schultern gelegt oder um den Kopf geschlungen, als Turban oder hinten lang herabhängend. Einige Ältere tragen einen hellen Fez. Schubkarren mit offenem Sack (Rosinen?), andere mit Eiern (hart gekocht?) und länglichen Brötchen, andere mit Lauchzwiebeln. Oft dienen Karren als Verkaufsstände, vergrößert durch überstehende Kartonpappe oder darauf gelegte breite und flache Kisten. Eine Handwaage wird zum Verkauf angeboten. Ein Mann mit T-Shirts über jedem Arm zum Verkauf lehnt sich gegen ein geparktes Auto.

Zum Abendessen kaufen unsere Guides mit uns auf dem Fischmarkt in einer schlecht beleuchteten und schmuddeligen Gasse ein Stück Thunfisch, das sie durch einen kleinen Eingang über eine finstere Stiege in ein mit lauten jungen Männern bevölkertes Restaurant im 1. Stock tragen - mit uns im Schlepptau hinter sich -, wo es für uns zubereitet wird. Mohammeds Cousin, den uns niemand vorstellt, wird mit abgefüttert.

Danach schließe ich mich Mohammed und Britta und Heike an, die im Taxi mit Mohammed und seinem Cousin zu dessen Schwiegervater fahren, bei dem der Cousin mit Frau und zwei kleinen Kindern vorübergehend wohnt. Der Cousin will Mohammed eine Frau aus Taizz vermitteln, wo sie billiger sind als in Sana'a. Von der Straße, an der das Taxi hält, gehen wir zu Fuß durch Staub, Unebenheiten, Steine und Müll zum Haus des Schwiegervaters (80), der uns oben an der Treppe des Hauses begrüßt. Die Sandalen lassen wir vor der Tür. Wir treten gleich in den Empfangsraum. Die Frauen des Hauses außer der Frau des Cousins und ihrer Kinder sind nicht anwesend. Der zwölfjährige Sohn des Hausherrn und seiner zweiten Frau (höchstens 40) und einige Nachbarkinder sehen zu, wie wir mit Kuchen und Saft bewirtet werden, nachdem wir auf den niedrigen Sitzen Platz genommen haben. Im Gang stehen kichernd die übrigen Frauen und Mädchen - Bewohnerinnen und Nachbarinnen - und versuchen, einen Blick von uns zu erhaschen. Später werden wir, immer noch in Socken, über Steinstufen und Winkel durch die Küche in die Niederungen des Hauses und den Empfangsraum der Frauen geführt. Eine uralte zahnlose Frau, die Mutter (115) des Hausherrn, begrüßt uns mit Handkuss, den wir erwidern. Der alte Herr, von dem ich erfahre, dass er in Russland studiert hat, und dem ich sagen lasse, dass ich etwas russisch gelernt habe, verabschiedet sich später von mir mit „Doswidanja, spaciba", was ich erwidere.

 



Kaufen Sie die Bücher von Antje Arbor